Machen wir ein Buch?

Reise, Sachbuch, Belletristik ...?
Alle interessanten Themen;
alles was bewegt.

Hier geht´s weiter!

L`Eixample 1

Body: 

Kultureller Streifzug durch Barcelona

Der Stadtteil L´Eixample (oder L´Ensanche)

Das Viertel mit den auffällig schnurgeraden Straßenzügen wurde im 19. Jh. im Norden der Altstadt angelegt. Folgende vier Achsen bilden das Grundgerüst: die Gran Vía de les Corts Catalanes, die Hauptverkehrsader, verläuft parallel zum Meeresufer und ist die längste Straße der Stadt. Der Passeig de Gracia, die wichtigste Querachse, stellte Anfang des 20. Jhs eine beliebte Flanierstrecke der Bürger Barcelonas dar. Zu beiden Seiten recken sich stattliche Bürogebäude, Banken, Botschaften, internationale Organisationen usw. empor. Sehr malerisch machen sich die Steinbänke mit den gußeisernen Straßenlaternen. Parallel zum Passeig de Gracia verläuft die Rambla de Catalunya mit ihren Nobelrestaurants und Straßencafés im Schatten der lindenbestandenen Alleen. Schließlich bleibt noch jene Straße, die auf geradezu provokante Art die Regelmäßigkeit der Linien stört: die Diagonal. Wie der Name schon verrät, zieht sie sich schräg durch das Viertel, gesäumt von modernen Bauten, eleganten Geschäften, Modeschöpfern, Diskotheken, Nobelcafés usw.

Stiftung Antoni Tàpies: Aragó 255, an der Ecke zum Passeig de Gracia. T. 487 03 15. Täglich außer montags 11-20h geöffnet; Zutritt leider nicht umsonst.

Die Stiftung ist in einem herrlichen Gebäude des Jugendstilarchitekten Domenech y Montaner aus dem 19. Jh. untergebracht und wurde 1990 eröffnet. Von weitem und auf den ersten Blick gibt sie sich zu erkennen durch das ausgefallene Dach: es ist gekrönt von einem unentwirrbaren Knäuel verdrehter Aluminiumkabeln, einer metallenen Wolke gleichsam, auf der ein Stuhl thront: das Markenzeichen von Tàpies Werk. Innen sieht es entsprechend aus: viel Marmor und ein Zwischengeschoß aus der Jahrhundertwende. Kälte und strenge Kargheit herrschen vor und bilden einen Hintergrund, vor dem sich die Werke des großen katalanischen Malers, ihre warmen Farben und die Fülle der verwendeten Fundobjekte um so deutlicher abheben können. Tàpies ist ein Meister des Arte Pobre (arme Kunst): er entwirft das alltägliche Leben neu mit Hilfe von Holzstücken, einem dicken Stoffetzen, einer Handvoll Sand, viel Malerei und selbstverständlich einigen fleckigen Stühlen ...

Der »Modernismo« (Jugendstil)

Die Modernismo-Bewegung entstand in Barcelona Ende des 19. Jhs, etwas vor dem Jugendstil in Deutschland, dem »Art Nouveau« in Frankreich und dem »Modern Style« in England. Zwar sind auch die Leistungen des Franzosen Guimard in Paris, die U-Bahnstationen und die Gebäude im 16. Arrondissement, nicht zu verachten, doch haben sie längst nicht den gleichen Stellenwert wie die Kreationen Gaudís und seiner Geistesverwandten in Barcelona. Verglichen mit den fantasievollen Schöpfungen des Katalanen, wie sie sich u.a. bei der Kathedrale zeigen, wirkt der Stil Guimards oder der Deutschen fast brav und gemäßigt.
Gaudí lebte von 1852-1926. Er studierte Architektur und Philosophie, was die einzigartige Verschmelzung von Technik und Geist erklärt. Jeglichen Rationalismus ließ er rasch hinter sich, um seinem sagenhaften Schaffensdrang freien Lauf zu lassen, mit dem er seine Zeitgenossen zuweilen etwas beunruhigte. Er schöpfte alle Quellen aus, die ihn auf irgendeine Weise inspirieren konnten: die Architektur der Vergangenheit, technische Verfahren und moderne Materialien, die Pflanzenwelt usw. So gelang es ihm, aufregende und originelle, für damalige Verhältnisse geradezu waghalsige Formen zu kreieren, was ihn zu einem der größten Architekten aller Zeiten machte. Nicht umsonst sind drei seiner Bauwerke, der Palau Güell, der Parc Güell und die Casa Milà, zum »Kulturgut der Menschheit« erklärt worden. Keinem anderen Künstler der Moderne ist diese Auszeichnung zuteil geworden.
Unter Zeitdruck beschränke man sich auf die Casa Milà, die Casa Batlló, die Sagrada Familia und den Parc Güell.

Tàpies erblickte 1923 in Barcelona - wo sonst? - das Licht der Welt. Der Bewunderer Picassos und Van Goghs gründete eine Kunstrevue und erhielt von der französischen Regierung ein Stipendium, mit dessen Hilfe er sich pausenlos und mit vollem Einsatz seiner Malerei widmen konnte. Die Franzosen hatten ein gutes Näschen, denn in den folgenden vier Jahrzehnten stellt ihr ehemaliger Schützling in Galerien der ganzen Welt aus und heimst gut zwanzig Preise ein, darunter den Friedenspreis der Vereinten Nationen. Er wird von Kunstkennern vergöttert, von seinen Kollegen verehrt, das ganz große Publikum hat ihn indessen noch nicht entdeckt, dazu ist sein Werk wohl zu avantgardistisch und weitab vom Gewohnten. Der überzeugte katalanische Nationalist ist der unbestrittene Erste unter den spanischen Malern der letzten dreißig Jahre; nach Eröffnung dieser Stiftung könnte er sich eigentlich auf einem seiner Stühle zurücklehnen, denn welchem Künstler wird schon die Ehre eines eigenen Museums noch zu Lebzeiten zuteil?

Gebäude und umliegendes Viertel wurden nicht zufällig ausgewählt. Sie stellen vielmehr die Verbindung her zum architektonischen »Modernismo« (siehe unten) und symbolisieren, dass Barcelona immer noch Maler hervorzubringen vermag, die allein die Modernität der ganzen Stadt voller schöpferischer Genies vertreten.

Abgesehen vom ständig wechselnden Repertoire der Werke Tàpies´ werden zeitlich begrenzte Ausstellungen zeitgenössischer Kunst präsentiert (Fotografie, Bildhauerei, Malerei usw.). Die Stiftung hat darüberhinaus eine auserlesene Kunstbibliothek zu bieten, sie sich besonders dem Orient angenommen hat, aus dem der Herr des Hauses einen Teil seiner Ideen bezog.